Das Schneebergangebot - Junge Kraft für die Heimat

Nur zögerlich gelang es den Wipfeln einiger alter Tannen über das letzte Aufbegehren der Erde hinwegzuragen. Der Nebel in der Ferne ließ eine zarte Ahnung verwaister Baumreste durchscheinen, bevor die Dichte der Aussichtslosigkeit, wie ein Korsett an den Hügeln, jeden Blick verschnüren sollte. Katharinas Aussicht auf den nebulosen Horizont schien ebenso ihr Los, wie die täuschend barrierefreie Panoramaaussicht in der vordersten Reihe des Ruheraumes. Pauschal ließe sich sagen, dass eine preisvergünstigte Frontalbeurlaubung im Schneeberghof, nächst dem Berg, mit einem Platz in der ersten Reihe auf dem Parkett der Theaterbühnen zu vergleichen wäre. Hier das versiegelte Parkett zur praktischen Ruhelage, ein kläglicher Versuch mehr zu versprechen, als die bekömmliche Stille des naturechten Gegenübers, leisten konnte. Dort der ruhelose Drang des Schauspiels, bisweilen mit der Notdurft, Bewegung als etwas anderes zu verkaufen, als sie tatsächlich zeigte. Zwar spielt sich hier etwas ab, wollen sie sagen, aber eben nicht dort, wo sie es zu sehen vermuten. Wir treiben euch über die Körper hinaus in das ruhelose Bild. Bitte lassen sie sich daher nicht täuschen, wir sind längst zu einem malerischen Sinnbild unserer selbst emporgestiegen. Nehmen sie sich ein Beispiel am Schneeberg, der hat es zu etwas gebracht. Man sieht sich vor das stille Schauspiel gestellt, das sich anständig in die Besonnenheit wirft und Katharina sich regungslos vor Erholungssucht, rücklings gegen die Lehnen ihres Liegestuhls. Gesagt ist damit natürlich noch nichts. Das Bühnenbild ist eben ein anderes, hier vor dem Schneeberg. Im Tumult der theatralischen Bewegungen hingegen rühmt sich ein verdächtiger Trick. Seht her, wir sind die gaukelnde Vision einer Geschichte, die sich erzählen muss, ob ihr wollt oder nicht. Der Körper ist eben keine Bergkette, er ist eine »Gewircksformation«. Es gibt hier nichts zu bedeuten, geschweige denn zu sehen, aber zu imaginieren, wenn sie sich lange genug vorantreiben. Die tänzelnden kleinen Körper, da vorne auf dem Parkett der Tiefgründigkeit, ließen sich ebenso sorgfältig zwischen Katharinas Erwartung und deren kleine Vision schieben, wie die massive Plexiglaswand zwischen den Ruheraum des »Wellnesareals« und die ungenierte Idylle draußen in der Landschaft. Da dürften die Vitrinen der Schaulust wieder einmal zur rechten Zeit geöffnet worden sein. Nur hoch mit dem Verschlag, wie mit dem Vorhang, ab mit dem ersten Aufzug und hinauf in den vierten Stock. Der Berg ist schon oben, aber der Blick ist dunstig geworden. Beschlag an der Aussichtsfront aus Glass und Nebel an der Vorderseite des Schneebergs, trafen sich mit aller Belanglosigkeit zwischen Katharinas kläglichen Anspruch auf Durchblick durch das Naturgeschick, in der Ferne, wo es etwas kälter war als hier, und dem sich zudringlich ankündigenden Hunger an der Innenseite ihres Verdauungstraktes. Also abermals hinein in den Aufzug und runter mit dem 2. Akt, aber hinauf auf das höhere Niveau. Der Tee ist bereits angerichtet, der Schneeberg übrigens auch. Von hier war der Schleier etwas freundlicher. Katharina erinnert sich, der Austritt in die Erholung war schon lange geplant gewesen, aber niemals anständig in Angriff genommen worden. Ein Seitensprung in das ländliche Vorortdomizil schien diesmal aber endlich greifbar. Sie hatte alles sorgfältig zu- und vorbereitet. Denn weiter als bis zum Schneeberg hätte sie es ohnedies nicht gebracht. Also nur zu, wieso auch nicht, sie musste sich vor dem Schneeberg nicht fürchten, immerhin konnte man ihn von Wien aus sehen. Man versicherte ihr, dass dieses umgängliche Stückchen Natur schon immer hier gewesen sei und sich niemandem je mehr aufgedrängt hätte, als bis zu dem Panoramaguckloch in ihrem Hotelzimmer. Dieser Gedanke beruhigte sie. Und dennoch, bei dem folgenden Spaziergang eröffnete der Anblick einer Plakatserie, rechts von der Einfahrt zur gemäßigten Bergbesteigung, ein sonderbares Unbehagen. »Junge Kraft für die Heimat« brüllten die Abziehbilder in blau gegen die Felsvorsprünge des Hinterlandes. Der abgestande Ausdruck eines Mannes Anfang 30 erweckte den aufkommenden Verdacht, dass dieser bereits vor 65 Jahren einen gewichtigen Beitrag zur Jugendkultur in Puchberg geleistet haben hätte können. »Aber natürlich werte Dame, die sind auch schon immer da gewesen, wie die Natur der Dinge, man hat nur vergessen sie abzunehmen. Aber machen sie sich keinen Kopf, die Jugend ist eben immer jung gewesen, auch damals. Und heutzutage lässt es sich noch billiger jung sein. Hier sehen sie die jüngsten und billigsten Produktionsverfahren, wenn sie erfrischt beworben und auf dem neuesten Erholungstand unserer feinen Heimat sein wollen. Alles ist greifbar und um diesen Preis selbstverständlich vergriffen«. Katharina hatte begriffen, aber nichts mehr im Griff. Die Erholung dürfte sich also eingeschlichen haben. Es hätte auch schlimmer kommen können. Der Fußmarsch durch das milde Landschaftsbildnis war nicht annähernd so beschwerlich gewesen, wie der Weg dahin. Was bringt einen dazu, das Notwendige zu tun, ohne sich dabei völlig lächerlich zu machen, fragte sich Katharina insgeheim. Der Asphaltparkplatz vor dem Schneeberghof mündete einstweilen sittsam und schräg in das angrenzende Grün, ebenso beiläufig, wie die morgendlichen Sonnenstrahlen in das hysterische Zittern der Äste einiger Bäume. Mathematisch gesehen konnte man annehmen, dass heute nicht von einer Überschneidung der Schräglagen auszugehen war. Dabei wünschte sich Katharina im Grunde nichts weiter mehr, als wieder einmal ordentlich flachgelegt zu werden, hier im Grünen, oder auf dem etwas raueren Betonvorbau. Gegen eine horizontale Perspektive auf die Ereignisse der vergangenen Monate, hatte sich durchwegs nichts einzuwenden. Andereseits, wenn einem zu morgendlicher Stunde das Naturschauspiel in schräger Manier begegnete, dürfte mit einem geradlinigen Donnerstag nicht zu rechnen sein. Vielleicht war es also doch angebracht, die eigenen Neigungen zu überdenken. Dies sollte zwar nichts an dem 30 Grad Gefälle zur Einfahrt in die Garage und bisweilen wenig an der Bewegtheit der Baumkronen ändern, wohl aber an Katharinas Motiven für eine weitere Erkundung der Umgebung. Dabei viel ihr der letzte Brief an eine verehrte Professorin ein, die sie in jugendlicher Naivität einst zu einem bekömmlichen Spaziergang in der Praterau eingeladen hatte. Selbstverständlich wurden Katharinas Erwartungen nicht erfüllt, ebenso wenig wie die Hoffnung auf ein paar Worte, die sie sorgsam hätte pflügen und beackern wollen. Man musste doch froh sein, wenn man überhaupt etwas zu hören bekam. »Sind sie gut zu Hause angekommen? Gelegentlich verläuft man sich ja in Gedanken und kommt an sonderbaren Orten zu sich. Also ich bin noch hier, in Wien, aber glücklicherweise vergesse ich manchmal darauf, auf Wien und den Ort, der sich darin auftut. Zu meiner Beruhigung habe ich kürzlich festgestellt, dass mein Computer Überseeländerin ist, eingeflogen sozusagen aus dem Draußen, das nur mehr auf der Rechnung daran erinnert, aber immerhin ein Draußen gewesen ist. Das weiteste hier im Umfeld von 120 m2, das muss ich zugeben. Was halten sie also von einem Spaziergang, wenn sie wieder hier sind, ich erinnere mich, sie spazieren gerne. Da hätte ich einen dieser Spaziergänge anzubieten, sie wissen schon, diese Art von Spaziergängen bei denen man für einige Stunden, Kaugummi kauend und Zigaretten verschlingend, die urbanen Recycling-Naturdomizile besteigt, um sich selbst vor dem Verdacht zu schützen, man hätte keinen Sinn für das Schöne der Natur. Daher nur munter drauf los und ordentlich hinein in den Prater, und durch die Allee, auf das Pflaster der disziplinierten Erholung. Ich würde sagen, da geht sich´s ganz gut und auch fleißig dahin. Die Praterallee eignet sich für solche Anfälle ausgezeichnet. Sie müssen wissen, kein Ort macht einem das denken leichter, als eine von Naturartefakten eingewickelte und gepflasterte Linie ins Nichts. Da lässt sich die Nähe der erhabenen Naturreste noch lustvoll inhalieren.